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Befehlswege oder agil in der Krise? Der Bundesrats geht hybrid vor

Agilität wurde innert kurzer Zeit zu einem vermeintlichen Buzzword. Nun können wir diese unternehmerische Fähigkeit für unsichere Zeiten unverhofft und persönlich kennenlernen und üben. In unserem nachstehenden Blog beispielsweise, teilen wir das Beispiel, wie der Bundesrat trotz allen hierarchischen Befehlswegen, agil in der Corona-Krise vorgeht, und damit durch diese unsichere Zeit  hybrid steuert. 

 

Agiles Vorgehen des Bundesrates im Corona-Krisenfall
Von Zehra Sirin. Ich kann mich gut an die Kernaussagen eines Amtschefs für Wirtschaft und Arbeit erinnern, der als Vorredner in einem Vortrag darlegte, dass agile Vorgehensweisen in öffentlichen Verwaltungen, Politik und sonstigen Ämtern schwer umsetzbar und sehr riskant seien; Dass besonders in Krisensituationen klare und kurze Kommunikationswege herrschen müssten, um die Verantwortung gegenüber Wirtschaft und Bürgern wahrnehmen und für Stabilität im «Chaos» zu sorgen. Experimentell, bzw. evolutiv vorzugehen, könnten in solchen Fällen die Unsicherheit weiter erhöhen und gesetzliche Konformität an ihre Grenzen bringen.   

Damals nahm ich diese Darstellung interessiert zur Kenntnis und nahm mit, dass agiles Vorgehen in Krisensituationen fraglich sind und in solchen Fällen vielleicht doch der hierarchische Befehlsweg für mehr Sicherheit sorgt.

In der aktuellen Corona-Krise beobachte ich in den Medienkonferenzen den Bundesrat, wie sie über Entscheidungen informieren und diese begründen. Es ist auf ungewöhnliche Weise spannend, eindeutig auch agiles Vorgehen darin zu erkennen.

Wie der Bundesrat erklärt, fordert der Corona-Virus die Gesellschaft und Wirtschaft heraus. Niemand wisse, was sich wann, wie entwickeln wird – schwierig also, eine Planung oder Prognose zur Stabilisierung der Situation zu machen. Denn die Einflussfaktoren sind zu unbeständig, unsicher, komplex und vielfältig. Das ist *VUCA in Reinform (Erklärung siehe unten).

Selbstverständlich ist die Situation insgesamt ernst zu nehmen; Doch es ist auch interessant zu beobachten, weil der Bundesrat die bestehenden Protokolle im Krisenfall mit vier Grundstrategien aus VUCA-Prime kombiniert – vergleichbar mit einem hybriden Projektmanagement. Diese Grundstrategien sind immer dann geeignet, wenn Situationen unbeständig, unsicher, komplex und vielfältig sind. Die Corona-Krise selbst sowie die Konsequenzen auf dem Wirtschaftsmarkt daraus, sind ein treffendes Beispiel von dieser Dynamik und können insbesondere Verwaltungsräte und Geschäftsleitungsmitglieder unterstützen, wenn Contingency- oder Fall-back-Pläne zum Einsatz kommen. 

 

Was VUCA-Prime ist, und wie sie vom Bundesrat angewendet wird, finden Sie in den folgenden Zeilen. 


(Hinweis: Dieses gleichlautende Akronym VUCA-Prime ist nicht mit der oben beschriebenen VUCA-Dynamik zu verwechseln –  Letzteres wird in der Fusszeile beschrieben)

 

Vision obsiegt Volatilität

Wenn sich die Ausgangslage (ständig) ändert, ist es wichtig, sich auf die Vision zu fokussieren, d.h. Orientierung zu schaffen, wohin es soll. 

Beispiel vom Bundesrat: Die Vision dient dem Bundesrat als Kompass zur Orientierung, und zur Identifikation nach Innen und Aussen. Dazu kommunizierte der Bundesrat als primäres Ziel, die Begrenzung der Zahl der schweren Erkrankungen und die Vermeidung der Überlastung unseres Gesundheitssystems. Bei jeder Überlegung, Priorisierung, Massnahme und Erklärung stützte sich der Bundesrat auf die Wozu-Frage und verschafft sich im «Chaos» Orientierung. Die Massnahmen, die schrittweise eingeleitet werden, bestimmen, was zu tun ist. Wie die Umsetzung erfolgen kann, wird dann erst und möglichst dem Föderalismus, bzw. Kantonen überlassen.

 

Verstehen (Understanding) reduziert Unsicherheit
Wenn die Ausgangslage unsicher ist, ist es wichtig, den unsicheren Situationen Sinn zu geben und diese Beteiligten verständlich zu machen. Sobald die Beteiligten die Situation (Zusammenhang) verstehen, verringert sich einerseits die Unsicherheit und andererseits erhöht sich das Vertrauen.
Beispiel vom Bundesrat: Bundesrat Alain Berset wies in seinen Erklärungen wiederholt darauf hin, wozu die Massnahmen dienen. So schaffte er Orientierung und Sinn für die entschlossenen Massnahmen. Zu diesem Zweck erklärte er, dass diese einschränkenden Massnahmen erforderlich sind, um primär den Schutz der Hochrisiko-Fälle und Senioren zu sichern. Andererseits, dass diese Einschränkungen nur wirkungsvoll werden, wenn sich alle verantwortlich verhalten und an die Vorgaben einhalten.

 

Clarity (Klarheit) gegen Komplexität

Wenn die Ausgangslage vielschichtig ist, ist es wichtig, unnötige und verwirrende Details möglichst zu beseitigen und auf die zentralen Aspekte zu fokussieren. Der Ansatz, um Klarheit in der Komplexität zu schaffen lautet, «welches ist das (grösste) Risiko und wie kann es adressiert werden?»

Beispiel vom Bundesrat: Nebst der Klarheit, die Bundesrat Alain Berset mit seinen Begründungen schaffte, war auch aus den Worten von Bundespräsidentin Sommaruga wiederholt zu entnehmen, mit wem sie national und international in Kontakt steht. Dies mit dem Zweck, sich selbst fortlaufend Klarheit über die Lage zu verschaffen, um soz. auf Sichtweite nächste Massnahmen zu planen. Der Bundesrat legt den Fokus somit auf den, dann erforderlichen Handlungsbedarf und schafft bei der Bevölkerung diesbezügliche Klarheit durch Medienmitteilungen.

 

Agility (Anpassungsfähigkeit) begegnet der Uneindeutigkeit

Wenn die Ausgangslage uneindeutig ist, ist es wichtig, durch Anpassungsfähigkeit schnell auf sich ändernde Situationen zu reagieren.
Beispiel vom Bundesrat: Um schnell auf sich weiterentwickelnde Situationen reagieren zu können, lässt sich der Bundesrat Optionen offen und hält einen Strauss möglicher Massnahmen und Antworten offen. Sobald die Situation eindeutiger wird, kann er gegebenenfalls handeln oder von einer Massnahme absehen. Diese Fähigkeit, Strategien und Massnahmen auf Sichtweite zu planen und sich Veränderungen anzupassen, ist Agilität.

Zurück zu meiner Erinnerung an diesen Vortrag. Dieses unglückliche Ereignis zeigt deutlich, dass Agilität kein Megatrend ist, sondern die Fähigkeit, systematisch mit Unsicherheit umzugehen. Mir wurde bewusst, dass mein damaliger Vorredner in seinem Vortrag also nur eine Perspektive beleuchtet hatte. Krisenfälle mögen kurze und klare Kommunikationswege, einen Krisenplan und Hierarchien fordern. Doch schliesst sie nicht aus, «hybrid» vorzugehen und bewährtes Vorgehen mit Ansätzen aus der neuen Arbeitswelt (New Work) zu kombinieren.

Interessieren Sie sich für Strategien auf Sichtweite? Kontaktieren Sie uns zu agilestrats.
Bleiben Sie gesund!

 

*Das Akronym VUCA entstand nach dem Ende des Kalten Krieges in einer amerikanischen Militärhochschule und diente zunächst dazu, die multilaterale Welt zu beschreiben. Später breitete sich der Begriff über die ICT, in die strategische Führung aus und umschreibt die durch die Digitalisierung getriebene Dynamik im Markt. 

  • V = Volatility (Volatilität)
  • U = Uncertainty (Unsicherheit)
  • C = Complexity (Komplexität)
  • A = Ambiguity (Mehrdeutigkeit)