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Wir wollen doch nur eine Scrum-Schulung und keine Organisationsentwicklung!?

Häufig werden wir für Scrum-Schulungen angefragt. Um die Erwartungen des Soll-Zustandes nachzuvollziehen, fragen wir unsere Ansprechpersonen, meist Geschäftsleitungsmitglieder, nach dem Auslöser und die Motivation ihres Trainings-Wunsches. Dazu werden uns meist folgende Gründe genannt: 

  • In einem Vortrag hörte unser Vorgesetzter über die Erfolgsgeschichte unserer Mitbewerber mit Scrum.
    Nun will er „das Scrum“ auch.
  • Seit Jahren setzen wir nach dem Wasserfall-Ansatz, nun wollen wir die neue Methode „Scrum“ ausprobieren.
  • Wir möchten agile Tools und Ansätze ausprobieren – eine agile Organisationsstruktur ist derzeit aber kein Thema. 

So, da fängt unsere Arbeit meist an. Zu erklären, dass Scrum seine Wirkung nur entfalten kann, wenn die Rahmenbedingungen dafür nicht bekannt sind, und zwar nicht nur in den umsetzenden Teams, sondern bei der auftraggebenden Führungsebene. Denn anders als eine typische Trainings, lernen die meisten Führungskräfte Scrum von seiner schmerzlichsten Seite kennen… Doch zunächst die Grundinfos zu Scrum in seiner reinen Form, bevor wir auf das grosse Missverständnis von Scrum zu sprechen und auch hier einen Praxistipp geben wollen.

 

Falls Sie die unsere Geschichten auch erkennen oder sich für ein solches Experiment interessieren, nehmen Sie bitte Kontakt mit uns auf. Wir bieten zum Thema agiles Arbeiten ein breites Spektrum an erlebbaren Angeboten (Vorträge, Workshops).

Wir beraten Sie gerne bei einem unverbindlichen Gespräch. 

 

Was ist Scrum? 

Scrum ist ein Ablauf, mit der sich Projekte agil managen lassen und Entwicklungen vorangetrieben werden können. Scrum zeichnet sich durch starke Kommunikation unter allen Beteiligten, durch hohe Anpassungsfähigkeit bei anschliessenden Veränderungen und durch flache Hierarchien aus. Mit Scrum ist es möglich bei hoher Unklarheit und Komplexität “auf Sichtweite” zu handeln; es ist nicht nötig, vor Projektbeginn einen starren und detaillierten Projektplan bis zum Projektende zu entwerfen.

Scrum ist übrigens auch alles andere als neu. Spätestens 1990 wurde Scrum in seiner heutigen Form von zwei Software-Entwicklern (Jeff Sutherland und Ken Schwaber) entwickelt und angewendet. Und seither nimmt es nach und nach in Schweizer KMUs Einzug, wo mit Scrum-Prozesse, -Rollen und -Grundlagen experimentiert wird.

 

Wie funktioniert Scrum?

Scrum arbeitet mit Teams, die cross-funktional und interdisziplinär zusammengesetzt sind. Bei Scrum geht es darum, eine Aufgabe/Ziel in kleine Arbeitspakete einzuteilen, bzw. die Zeit in sich wiederholende Schleifen, sog. „Sprints“, einzuteilen. Diese dauern in der Regel 30 Tage. Am Ende jeder Schleife müssen alle vorher definierten Aufgaben geliefert und implementiert sein. Die Stakeholder werden am Ende jeder Schleife im Rahmen des Review Meetings mit eingebunden. Ihnen wird der aktuelle Status präsentiert, welcher dann gegebenenfalls gemeinsam mit ihnen adaptiert wird, hin zu einem finalen, aktuell validen und bestmöglichen Ergebnis oder Produkt. Die Zusammenarbeit wird in sog. Retrospektiven gesondert beurteilt, die sich insbesondere auf das Wirken zwischen Menschen beziehen und eine der wichtigsten Rollen spielen.

Und: Scrum ist durch verschiedene Rollen zusammengesetzt, wobei die Führungsverantwortung beim umsetzenden Team liegt.

 

Wie kommt es zu diesem Hype um Scrum? 

Wir leben in einer VUCA-Arbeitswelt, wo Wandel eine Normalität ist. Dadurch kann ein heute definiertes Ziel in wenigen Monaten überholt sein. Ein über Wochen erarbeitetes Konzept zu schreiben, das über mehrere Instanzen hoch politisch geprüft, genehmigt und dann erst initialisiert wird, kann sich kein Unternehmen mehr leisten. Und meist verlaufen diese Projektpläne ohnehin anders, als vor Monaten angenommen wurde. Das ist in der Natur der Sache. Denn Dinge entwickeln sich in der Zwischenzeit weiter, wodurch sich Anforderungen ändern; in Planung werden andere Risiken/Chancen berücksichtigt, nun kommen wieder andere zum Tragen und so weiter. Und um den von allen abgenickten Projektplan auch voranzutreiben und sich nicht die Blösse zu geben, fängt dann die Beschönigung bis Vertuschung gegen „oben“ an, während gegen „unten“ sinnlose Umsetzung des Plans mit Druck aufgebaut wird.  

Scrum umgeht diese Probleme, indem die Teilaufgaben in der Reihenfolge abgeholt und umgesetzt werden, wie es die Situation dann erfordert. Tritt ein Fehler auf, wirkt sich der Schaden in der Regel in diesem Teilschritt aus. Die Erkenntnisse daraus können  für künftige Massnahmen berücksichtigt werden. Und Politik entschärft sich stark durch wertgetriebene Teamentscheidungen, hohe Transparenz und produktiven Umgang mit Fehlern. 

 

Wo liegt das Missverständnis (was muss verstanden sein)?

Scrum und weitere agile Methoden überlassen – im Gegensatz zum klassischen Management – die Führung dem Team.  Ziel und Richtung werden vom Product Owner formuliert, die Teams jedoch haben die Freiheit den Weg dorthin eigenverantwortlich zu gestalten. Das heisst, Scrum eignet sich nur für Organisationen, wo die Führungskräfte bereit sind (nicht nur verstanden haben),  die Führung (auch schrittweise möglich) abzugeben und diese Situation auszuhalten. Und dass diese Führungskräfte zu Dienstleistern von den umsetzenden und eben führenden Teams werden. Wenn wir Kundenanfragen haben, die diese Rahmenbedingung grundsätzlich ablehnen, raten wir, dass sie sich die „Wozu wollen wir Scrum“ nochmals überdenken. Denn Mitarbeitende machen sich auch schlau und mit der Erkenntnis, was es ist, bauen sie Erwartungen auf, die dann mit  Enttäuschung bis Frustration enden. 

Wenn wir Scrum im Ablauf und in den Rollen weiter erklären, reagieren manche Kunden mit „Ah, unsere Führung oder Projektleiter nennen sich dann also Product Owner?“ Nein. Die Führung nennt sich Führung. Und sie tritt (lediglich) als eine unter anderen Stakeholdern auf, die ebenfalls ein Interesse am Entwicklungsprozess/-ergebnis haben. 

Spätestens nachdem wir diese Tragweite von „nur einer Scrum-Schulung“ aufzeigen, ist ein (mehr oder weniger lautes) Raunen im Sitzungszimmer wahrnehmbar – und, wir riskieren, dass uns diese Anfrage nicht beauftragt wird, weil: „wir wirklich nur eine Scrum-Schulung für unsere Mitarbeiter wünschen und keine Organisationsentwicklung mit ganz neuem Rollenverständnis vorhaben.“ 

So ungeschickt, denken sich Profiverkäufer bei diesen Zeilen. Wir aber, halten uns an unseren handlungsleitenden Werte, zu denen  professionelle und sinnstiftende Beratung, herausragender Qualität und Zukunftsfähigkeit zählen. 

 

Unsere Praxistipps
  1. Glauben Sie nicht, was in diesen Vorträgen als Best-Practice erzählt wird. Meist sind die schmerzlichsten Niederlagen, die richtig spannend wären, wegretouchiert. Stattdessen werden Pauschal-Learnings eingestanden, die auf jeder Webseite auch zu lesen sind. „Schliesslich weiss man ja nie, wer im Publikum sitzt und wenn die Kunden das hören! Nicht auszudenken, zu welchem Schaden das führen kann!“
  2. Machen Sie Scrum zu einem Experiment und üben Sie bereits die Rahmenbedingungen im Kleinen. D. h. führen Sie sich als Führung oder Team an das Thema Selbstorganisation heran, spielerisch und unverfänglich. Wir raten unseren Kunden, dass sich Führungskräfte Mal einen Monat in Team-Meetings setzen oder operative Mitarbeitende in Führungssitzungen teilnehmen lassen – und zwar gleichberechtigt. Wenn Ihnen schon dieser Gedanke Unbehagen auslöst, dann sollten Sie nicht mit Scrum anfangen.
    Denn sollte sich ergeben, dass es absolut unmöglich ist, weil die dafür erforderliche Kultur/Haltung im Unternehmen fehlt (und ich spreche nicht nur von den angeblich nicht mitdenkenden Mitarbeitenden, meist scheitert es an am Loslassen der Führung), dann ist das eine günstigere und sehr wertvolle Erkenntnis.
  3. Fangen Sie nicht mit dem strategisch riskantesten Thema an. Bei einem Kunden fingen wir damit an, die Selbstorganisation zu stärken, indem das Management des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (KVP) dem Team überlassen haben. Bei einem anderen Kunden, dasselbe mit der Förderung von Diversität und Inklusion. Dabei sollten Teams die Wirksamkeit dieser Themen selbst verbessern – durch Planen, Umsetzen und Aufrechterhalten -. Allein diese Erfahrung führte zu Erfahrungen, Erkenntnisse und Weiterentwicklungen, die kein „top down in Auftrag gegebenes Scrum-Training“ hätte bewirken können.
  4. Und Führungskräften, die uns erklären, dass sie die Leute mit dieser Verlässlichkeit gar nicht im Betrieb haben, unterstützen wir mit der Gegenfrage: Welche zukunftsfähigen Kompetenzen bei der Rekrutierung von Mitarbeitenden gesucht werden?“