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Fuck Up für konstruktive Fehlerkultur!

Hinfallen, wieder aufstehen und vor allem – ehrlich darüber reden

 

Alle machen Fehler. Doch selten wird offen darüber gesprochen. Wie mit Fehlern umgegangen wird, ist von Unternehmungskultur zu Unternehmungskultur und von Branche zu Branche unterschiedlich.

 

In unserer Praxis begegnen wir verschiedenen Fehlerkulturen und Grade davon. Die einen sind grossartige Beispiele, wieder andere bemerkenswert mutig. Hier die Beispiele:

Die einen Organisationen haben es sich zum Ziel erklärt, im Rahmen ihrer Organisationsentwicklung offener und lernender mit Fehlern, Scheitern, Abweichungen umzugehen und diese Fähigkeit soweit zu entwickeln, dass es für Innovation, Qualität und damit Wettbewerbsfähigkeit aktiv genutzt werden kann. 

Dann sind da diejenigen Unternehmen, die gegen Aussen und Innen selbstverständlich vermitteln, dass der offene Umgang mit Fehler wichtig ist, doch wenn Fehler geschehen, liegt die ganze Energie darin, zuerst zu prüfen, ob es der eigene Fehler war oder in der eigenen Abteilung gemacht wurde. Wenn nicht, wird die heisse Kartoffel möglichst mit einem grossen Verteiler zurück in die Luft geworfen, der Zuschauerplatz eingenommen und damit die Sache für sich als abgeschlossen erachtet.  

Wieder andere begründen überzeugt, dass sie schon offener mit Fehler umgehen würden, doch das gar nicht möglich ist. Warum? „Weil bei ihnen Alles anders sei“ oder sie nur noch drohende Klagen kommen sehen: „Nicht auszudenken, wohin uns das rechtlich hinführen würde, wenn wir Fehler eingestehen.“

Und zu guter Letzt die Unternehmen, denen sich die Frage nach einem bewussten Umgang mit Fehlern und die Chance nach Wettbewerbsvorteilen und Innovation noch gar nicht stellt. Warum? „Weil das Geld vom Kunde verdient würde und sie ihre Ressourcen nur dafür investieren“. 

 

Was richtig wäre?

Unternehmerisches Interesse, die Gründe/Ursachen aus Fehlern, Abweichungen, Scheitern zu verstehen und diese Erkenntnisse für künftige Schritte zu vorbeugend zu berücksichtigen. Sofern man etwas ausprobieren und experimentieren wollte, auch auszuhalten, wenn sich die Annahmen nicht bewahrheiten. Und diese ERfahrungen transaprent machen, damit wahrnehmbar wird, dass Raum dafür da ist und keine Konsequenzen befürchtet und Angstkultur gesät wird.

 

Übrigens: Falls Du dich fragst, wer im Unternehmen diese Aufgabe facilitieren sollte. Typischerweise ist das Aufgabe eines Qualitäts-Manager:ins und immer mehr auch von sog. Agile Coaches oder Team Coaches im Unternehmen. 

Und selbstverständlich geht es bei der Fehlerkultur nicht darum, dass Unternehmen neuerdings Fehler bagatellisieren oder gar anstreben, um dann daraus zu lernen oder Inspiration für Chancen zu gewinnen. Es geht darum, dass Fehler geschehen und das Unternehmen ein Lernquelle und Steuerungsinstrument daraus macht.

In der Praxis wird uns manchmal auch argumentiert, dass die Mitarbeitenden längst nicht so verantwortungsvoll und fähig seien, aus Fehlern lernen zu können. 

 

In diesem Fall sehen wir das Problem im Wertesystem der Unternehmung und raten zur Überprüfung des herrschenden Menschenbildes, und auch, dass die Kriterien bei der Rekrutierung auf Aktualität geprüft werden sollten. Es dürfe nicht sein, dass unfähige oder verantwortungslose Mitarbeitende rekrutiert werden würden. Aber das ist eine andere Geschichte, das wir wohl in einem anderen Blog erzählen.

 

Zurück zum Thema. Fehlerkultur ist im Qualitätsmanagement schon rund 70 Jahren ein wichtig und deshalb das Thema nicht wirklich neu. Doch mit dem Anbruch des neuen Arbeitszeitalters, haben die bisherigen Gründe eine neue Dringlichkeit gewonnen. Es geht längst nicht nur darum, dass man Fehler nur im Sinne des Qualitätsmanagements oder Lean Programmen verbessert, dafür Menschen beteiligt und Kosten damit senken will.

 

Es geht um die neue Fähigkeit, trotz vorausschauender Planung ergebnisoffen zu bleiben, der Planungsunsicherheit mit Planung auf Sichtweite zu begegnen und anzunehmen, wenn Versuche scheitern oder ganz andere Ergebnisse ergeben und man deshalb glauben gewinnt, dass die Planung fehlerhaft war. 

 

Praxis-Beispiel – Findings in Audits
Ein Unternehmen bereitet sich auf eine ISO 9001 Zertifizierung vor. Mit der Zertifizierung möchte es freiwillig den Nachweis einer unabhängigen Zertifizierungsstelle: „Ja, dieses Unternehmen verfügt über Mindest-Fähigkeiten, um Kundenzufriedenheit in angemessenem Masse zu erreichen; indem dafür die Qualität der in den Strukturen und Prozessen so gut ist, dass die entstehenden Produkte und Dienstleistungen ihre Kunden zufriedenstellen bis begeistern.“
Damit die externen Zertifizierungsauditoren möglichst keine Abweichungen während des Audits finden können, liegt die Energie bereits in den Vorbereitungen darin, möglichst Alles aufzubrezeln. Ankunftspersonen für Auditoren werden durch „Audit Hasen“ bestimmt und die gesamte Belegschaft darauf eingestimmt, bloss nur auf die Frage zu antworten und keine weitere Angriffsfläche für Fehler zu bieten. Werden durch Zertifizierungsauditoren trotzdem sog. Neben-/Haupt-Abweichungen oder Hinweise zur Behebung festgestellt, werden diese verteidigt, maximal als Ausnahme und mit „Murphy“ dargestellt und es als Angriff wahrgenommen. Auskunftspersonen oder Qualitätsverantwortliche werden bei sog. Findings mehr oder weniger ermahnt, sofort den Fehler zu beheben und dafür zu sorgen, dass es nicht mehr vorkommt.

 

Praxis-Beispiel – Lieferunfähigkeit im Online-Shop

Die Lieferverzögerungen eines Lieferanten von „Sell-it online“ für Notebooks haben sich nach der Pandemie stabilisiert und der Onlinehandel von „Sell-it online“ bietet Kunden das Produkt mit einer Lieferfrist von 3 Tagen an.

Basierend auf der bisherigen Lieferfähigkeit und in Rücksprachen mit dem Vertrieb sowie Lieferanten, bestellt die Beschafferin von „Sell-it online“ nun die neuen Modelle und lässt das Produkt – erneut mit einer Lieferfrist von 3 Tagen, ab 01.01.2023 – im Onlineshop ausschreiben. Damit Schwung und Stimmung nach der Pandemie aufkommt, wird auch in Zusammenarbeit mit Marketing, eine Werbekampagne dafür lanciert. 

Doch während Kunden das Produkt bereits zu bestellen anfangen, wird der Lieferant durch sich schärfende, geopolitische Ereignisse wieder  lieferunfähig. Der Onlineshop droht Kundenkritik, weil sie das neue Notebook-Modell nun doch nicht liefern können. Das harsche Fragen des CEOs, wie man bloss eine teure Werbe-Kampagne lancieren und Produkte verkaufen kann, die nicht existieren, führen zu einem Mail-Ping-Pong im ganzen Unternehmen. 

 

 

Zum zweiten Beispiel: Ist das nun die Unzuverlässigkeit des Lieferanten? Oder die ungründliche Abklärung oder Verhandlung des Beschaffers beim Lieferanten? Wessen Fehler war es, der zu dieser Lieferunfähigkeit und dieser Kampagne führte. Oder wäre es nicht angemessener den Blickwinkel einzunehmen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung möglicherweise andere Rahmenbedingungen herrschten, Beteiligte mit bester Absicht handelten und man nun besser daraus lernen sollte?

 

Dieser reale Kundenfall wurde nach den Ursachen durch alle Beteiligten analysiert. Statt Schuldzuweisungen und noch mehr Vertragsklauseln wurde unter unserer Begleitung ein verfügbares Alternativprodukt mit einem Rabatt von 40% angeboten. Die gewonnene Erkenntnis daraus war, nicht absehbare Schwankungen sind in der Lieferkette nicht ausschliessbar, weswegen von Anfang an eine Sonderaktion bei neuen Angeboten der Backup werden soll, statt Lieferanten/Partner in Frage zu stellen, noch mehr Vertragsklauseln zu verfassen oder gar Mitarbeitende in der Beschaffung und weitere Mitwirkende dafür verantwortlich zu machen.

 

Wenn Rahmenbedingungen und Abhängigkeiten dynamischer bis unberechenbar werden, können Ergebnisse trotz bester Planung anders ausfallen. Diese im Eintrittsfall anzunehmen, damit zukunftsgerichtet weiterzuarbeiten, ist zielführender, als im Problem zu verharren und den Verantwortlichen für den Fehler zu thematisieren. Dementsprechend spricht man in der Szene auch von „Vorwärts-scheitern“ oder wie Samuel Beckett in seinem wohl bekanntesten Zitat sagte und Stan Wawrika sogar auf seinen Arm tätowierte: Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better.

 

Es geht also um eine andere Haltung und Fehlerkultur in Unternehmen

In der Startup-Szene wird die Fehlerkultur aktiver gepflegt, gefördert und gefordert. Nicht, dass Fehler dort angestrebter sind. Doch anerkennt man, dass wo gehobelt wird, Späne fallen können, und aus diesen will man für künftige Fälle nicht nur als Einzelne:r reflektieren und lernen; sondern im Kollektiv und indem man das Negative durch Positives austauscht.

 

Für diesen leichteren und positiveren Umgang werden in der Gründerszene sogenannte Fuckup-Events veranstaltet. Dabei geht es gezielt darum, offen über die begangenen Fehler oder das eigene Scheitern zu sprechen und die daraus gezogenen Lehren vor einem Publikum zu teilen.

 

Was ist ein Fuck Up

Doch zunächst, was ist ein Fuckup? Umgangssprachlich versteht man darunter ein „Missgeschick“ oder „Fehler“. Das Konzept der Fuckup Events zielt darauf ab, offen mit diesen beruflichen Missgeschicke und Misserfolgen, Pleiten und Fehlern umzugehen. 2012 in Mexiko entstanden, ist dieses Veranstaltungskonzept mittlerweile auch in der Schweiz angekommen und erfreut sich grosser Beliebtheit in Unternehmen.

 

Wozu Fuck Ups

Ziel ist es, eine Kultur des Scheiterns einzuführen. Scheitern – fernab von Schuldzuweisungen bis hin zu (Existenz-)Angst. Es wird als notwendiger Versuch gesehen, in der planungsunsicheren Zeit einen Weg zum Ziel zu finden.

 

Kaum ein anderes Veranstaltungsformat stellt damit die Enttabuisierung der Angstkultur in den Mittelpunkt wie die Fuck Up Veranstaltung und entwickelt es durch positive Gefühle weiter.

 

Wie läuft ein Fuck Up ab?

Eine Person, spricht auf einer inszenierten Bühne offen über ein Missgeschick – unbeschönigt oder mit der unternehmerischen Verträglichkeit ausgeschmückt. Was geschehen ist, wozu es führte und wie es dabei einem selbst ergangen ist. Was wurde daraus gelernt, was wird künftig anders und diese Erkenntnisse werden mit dem Publikum geteilt.

Während dieser Erzählung wird selbstverständlich gelacht, geschämt, eingestanden und Verletzlichkeit gezeigt. Doch wird diese Selbstoffenbarung respektiert und wertgeschätzt und durch die Anteilnahme macht man die Erfahrung zur eigenen.

 

Wirkung

Die Fehlerkultur entwickelt sich durch die regelmässige Durchführung von u.a. Fuck Ups und die damit wachsende psychologische Sicherheit der Mitarbeitenden. Es entsteht Mut, sich mit den eigenen Fehlern auseinander zu setzen und sie für das Unternehmen bewusst zu machen; Wohlwollen gegenüber Mitarbeitenden und die damit verbundene Ent-Tabuisierung ist die Grundlage für den konstruktiven Umgang damit. Selbstverständlich ohne, dass dabei Fehler zur Gewohnheit werden sollen.

 

Eine gesunde Fehlerkultur entlastet, indem weil man keine Konsequenzen fürchten muss. Davon abgesehen können Fehlerursachen inspirierend für Innovationen sein. Wer Schwierigkeiten und Fehler benennt, hilft anderen, diese zu vermeiden.

 

Wichtigster Erfolgsfaktor für Fehlerkultur: beginne bei Dir selbst

Wenn Du Dich selbst oder andere dafür verurteilst, Fehler zu machen, behinderst Du Dich und oder andere am Fortschritt.

Mal ist es die Angst, beim Vorgesetzten wegen eines Fehlers negativ aufzufallen, bei Mitarbeitenden disqualifiziert zu werden und im äussersten Fall, personelle Konsequenzen zu fürchten; Mal ist es die eigene Haltung, die daran hindert, dass das Gegenüber mit der besten Absicht handelte und die Fehlerursache tiefer liegt.

 

Praxistipp

  • Sei bereit, Kontrolle abzugeben; offen für andere gewählte Wege zur Zielerreichung zu sein oder mutig, um bei Fehlern auch die Verantwortung zu übernehmen.
  • Scheitern ist menschlich und in der VUCA-Welt eine neue Normale, mit der man steuern kann. Das eigene Scheitern nicht zu verschweigen (insbesondere als Führungskraft), schafft Vertrauen und Authentizität. Und gehe davon aus, dass unnatürliches und nicht gefühlte Eingeständnisse, einfach nur lächerlich wirken und Misstrauen erhöhen.
  • Fuck Ups sind zwar unterhaltsam und ein erster Schritt zu einem offeneren Umgang mit Fehlern, Abweichungen, Scheitern. Diese als Einzelmassnahme schaffen aber noch keine Fehlerkultur. Überlegen sie sich, welche weiteren Handlungsfelder (wie Fehlerkultur) das Management von Unternehmungsentwicklung, Innovation und kontinuierliche Verbesserung begünstigen. Denn die Angst des Versagens, sind ein hartnäckiger Gegner.
    Und nicht jedes Scheitern führt am Ende zum Erfolg, zu einem neuen, lukrativeren Unternehmen.

 

Nebst unseren Praxistipps oben, findest Du hier eine Grobanleitung für Dein Fuck Up-Event. 

Du möchtest lieber ein Fuck Up Event erleben? Dann melde Dich an unseren Praxisdialog vom 1. März 2023 an.
Hier geht’s zur Anmeldung und Infos.

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