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Entlarvte Mythen über selbstorganisierte Teams/geteilte Verantwortung

In den Veränderungsvorhaben unserer Kunden kriegen wir so Einiges mit. Mal sind es Verwaltungsratsgremien, Geschäftsleitungen, die „eine agile Transformation“ oder eine „Veränderung des Mindsets der Mitarbeitenden“ beauftragen. Ein anderes Mal beobachten, wie Mitarbeitende und oder die Führung, die Selbstorganisation im Team, mit der  Selbstverwirklichung verwechseln oder unbegründet befürchten. In diesem Blog räumen wir deshalb mit den typischen Mythen aus unserer Praxis auf und bieten praktische Tipps, um sie zu überwinden.

 

Mythos 1: „Geteilte Verantwortung/selbstorganisierte Teams lösen die Führung ab“ 

Der Glaube, dass das Ziel ist, die Führung abzulösen oder die Führung keine Aufgaben mehr hat, ist einer der häufigsten Missverständnisse, die wir im Zusammenhang mit selbstorganisierten Teams begegnen. Dabei geht es lediglich um die Art der Führung, die ändert. Während in der Hierarchie „jemand“ entscheidet und gehorsam umgesetzt wird; bietet geteilte Verantwortung die Möglichkeit, Entscheidungen breiter abzustützen. D.h. von der entscheidenden Stimme, hin zu einer mitentscheidenden Stimme (unter mehreren Stimmen) zu sein.  

Praxistipp: Bisherige Sozialisierungen machen es Führungskräfte sehr schwer, geteilte Verantwortung nicht als Kontrollverlust, Gesichtsverlust und damit eigene Schwäche zu empfinden. Hier empfehlen wir, beweise deine Selbstreife statt Ego. Verkünde deinem Team den Wunsch nach Selbstorganisation und mache bereits deine eigene Entwicklung zur Teamleistung. Fordere Feedback, damit dir alte Verhaltensmuster bezüglich Führungsstil und Führungsgrundsätze transparent und entwickelbar werden. Und: füttere dein Ego mit gemeinsamen Erfolgen, Erfolgen deines Teams, dass dich dein Team für deinen Mut feiert und respektiert.

 

Mythos 2: „Die Führung darf den Anstoss zur Selbstorganisation nicht geben“

Es ist ein weitverbreiteter Irrglaube, dass die Initiative zur Selbstorganisation nicht von der Führung initialisiert werden darf, weil das bereits ein „Befehl“ und nicht intrinsisch motiviert sei. Doch in unserer Praxis ist es oft die Geschäftsleitung, die den Weg für Mitentscheidung entscheidet und initiieren möchte. Wir erachten dieses Argument als Energieverschwendung. Das Entscheidende ist nicht, wer den Anstoss gibt, sondern mit wem der Prozess danach weitergestaltet wird.

Praxistipp: Stelle sicher, dass nach dem initialen Impuls durch die Führung alle weiteren Schritte partizipativ erfolgen. Eine Arbeitsgruppe aus Mitarbeitenden aller Ebenen kann gemeinsam erarbeiten, in welchen Bereichen Verantwortung nun wie geteilt werden kann. Die Vorteile der frühen Partizipation sind Akzeptanz, des Wandels gemeinsames Lernen/Akzeptieren von anderen Wegen, als man sie möglicherweise selbst gewählt hätte – folglich vermeidet Partizipation das Eintreten von Risiken im Wandel.

 

Mythos 3: „Es entsteht Chaos durch individuelle Bedürfnisse“

Ein weiterer Mythos ist die Befürchtung, dass bei der Einführung von geteilter Verantwortung jeder seine individuellen Bedürfnisse durchsetzen möchte, was im innerbetrieblichen Chaos enden könne. Was auch immer mitgedacht, -geplant bis mitentschieden wird. Geteilte Verantwortung bis hin zu reinen selbstorganisierten Teams sind nicht zum Selbstzweck (oder organisiert sich jetzt so, weil Trend), sondern sind Mittel zum Zweck, damit die Organisatin zukunftsfähig bleiben kann. Kundenzentrierung ist der Kern jeder Entscheidung und soll stets im Mittelpunkt stehen und durch alle verstanden werden. In unseren Aufträgen können wir ausserdem beobachten, dass sich Mitarbeitende zurückhaltend verhalten, wenn sie Freiheiten erhalten. Sie warten ab, beobachten zunächst andere, schätzen coachende Wegleitungen, wodurch das befürchtete Chaos nicht ausbricht. 

Praxistipp: Es ist absolut entscheidend, dass alle den Zweck des Wandels verstehen. Es geht nicht darum, was du und ich gut fänden oder um Wohlfühlen bei der Arbeit; sondern was den Kundennutzen schafft. Dementsprechend sollen alle Handlungen, Diskussionen und Entscheidungen zum Ziel haben, was dem Kunden den angestrebten Mehrwert schafft. Umso wichtiger, dass der Zweck nicht nur vordockriert wird, sondern gemeinsam entwickelt, verstanden und  klare Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden, innerhalb derer alle angemessen selbstorganisierte beitragen. 

Mythos 4: „Jede Entscheidung muss gemeinsam getroffen werden“

Die Annahme, dass in einem selbstorganisierten Team alle Entscheidungen gemeinsam getroffen werden müssen, ist ein Irrtum. Statt Sozial-Romantik geht es vielmehr darum, dass das Team bestimmt, wer aufgrund ihrer/seiner Fähigkeiten eine Aufgabe am besten übernehmen kann.

Praxistipp: Eine gemeinsam erstellte Stärkenanalyse im Team kann aufzeigen, wer welche Verantwortung übernehmen sollte, und führt oft zu überraschenden Erkenntnissen. Beispiel: Jemand ist in seiner Freizeit seit Jahren die/der Kassier in einem Verein und super fit mit Zahlen. Im Team kennt man sie/ihn „nur“ als Kundendienst-Mitarbeiter:in. 

 

Mythos 5: „Entweder geteilte Verantwortung oder Command+Control-Führung“

Die Interpretation, dass es entweder nur geteilte Verantwortung oder die bisher bekannten Führungsgrundsätze gibt, ist nicht korrekt. Es existieren verschiedene Stufen von Command+Control, über geteilte Verantwortung bis zu rein selbstorganisierten Teams.

Praxistipp: Bestimme und entwickle gemeinsam mit dem Team den Handlungsspielraum und Grad der Autonomie. Instrumente wie Delegation Poker oder Brainstorming können dabei helfen, zu verstehen, welche Aufgaben und Entscheidungen, durch welche Fähigkeiten umgesetzt werden sollen.

Nachstehend ein Abstufungsbeispiel. Es existieren auch andere Abstufungen (z.B. nach Hackman). Wir ziehen Nachstehende vor, weil sie auf einfache weise auf Stufe Einzelaufgabe aushandelbar sind.   

  1. Befragend: Die Führung entscheidet und informiert das Team. Das Team darf Fragen zu den Hintergründen stellen, um die Abhängigkeit und Tragweite des eigenen Handelns zu verstehen sowie einzuschätzen.
  2. Beratend: Die Führung macht einen Vorschlag und bittet Team um Beratung, damit es dann selbst die Entscheidung trifft.
  3. Einigend: Auf Augenhöhe werden Entscheidungen gemeinsam getroffen. Das Management einigt sich mit dem Team.
  4. Konsultierend: Das Team trifft die Entscheidungen selbst, fragt die Führung nach ihrer Perspektive. (3. und 4. werden in der Praxis häufig als eins behandelt)
  5. Informierend: Entscheidungen werden im Team getroffen. Die Führung wird über die Ergebnisse informiert und kann sich dazu äussern.
  6. Reine Selbstorganisation: Entscheidungen werden nur vom Team getroffen. Das Management weiss nicht, dass eine Entscheidung zu treffen war.

Fazit

Unsere Überzeugung lautet, dass es für die Unternehmensführung essentiell ist, ganzheitlich zu denken und zu verstehen, was der Kern wahrer Agilität und Eigenverantwortung ist. Es geht weit über agile Ansätze und eine kreative Arbeitsumgebung hinaus, wozu auch geteilte Verantwortung im Team gehört. Der wahre Motor für Veränderung und Leistungssteigerung liegt in der Einstellung und den Handlungen jedes Einzelnen.

Die Überwindung dieser Mythen erfordert ein Umdenken bei allen Beteiligten und eine offene, vertrauensvolle Unternehmenskultur. Es geht darum, gemeinsam zu (neues) lernen, Verantwortung sinnvoll zu teilen und so den Weg für zeitgemässe Zusammenarbeit, Mitarbeiterbindung, Anpassungsfähigkeit (Agilität) und Innovation zu ebnen. Durch den Einsatz praktischer Werkzeuge und Methoden können Unternehmen ein Umfeld schaffen, in dem Mitarbeitende ihr volles Potenzial entfalten, dadurch committet sind und zum innerbetrieblichen Unternehmergeist beitragen können.